Beratung

Wir werden neu einordnen müssen, was eigentlich Beratung ist – Prof. Thomas Deelmann und Prof. Andreas Krämer im Interview

Was ist gute Beratung? Seit 2008 treibt mich diese Frage um und war Stein des Anstoßes für diesen Blog. Für knapp 5 Jahre liest Du hier alles rund um das Consulting von, in und mit Unternehmen. Artikel für Artikel nähern wir uns gemeinsam der Essenz guter Beratung. Immer in Griffweite: gute Fachliteratur. Im Oktober 2020 ist der Kanon lesenswerter Beraterbücher um ein Werk angewachsen. Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch zur Unternehmensberatung* steht zum studieren, umsetzen und geistigen wachsen bereit. Im Interview befrage ich die beiden Autoren Thomas Deelmann und Andreas Krämer zu ihrem Werk, guter Beratung sowie der Gründung einer eigenen Consulting Boutique.


Dr. Christopher Schulz (Consulting LIFE): Hallo Prof. Krämer und Prof. Deelmann: Oktober 2020 haben Sie gemeinsam das Fachbuch Consulting* veröffentlicht. Das Werk ist ein umfassender Streifzug durch die Welt der Beratung. Was war das spannendste, was das schwierigste Kapitel beim Schreiben?

Andreas Krämer

Krämer: Herausfordernd war sicherlich der Umgang mit den Widersprüchen, die sich in der Branche auftun. Sie wird ja von den einen geliebt und von den anderen gehasst. Sie ist ein sehr attraktiver Arbeitgeber und hat ein unglaublich schlechtes Berufsprestige – was jetzt auch eine Studie von exeo und Rogator erstmalig repräsentativ festgestellt hat. Als Studienautor haben mich persönlich die Ergebnisse überrascht und auch ein wenig erschüttert, schließlich bin ich ebenfalls als Berater tätig.

Diese Ambivalenz wollten wir durchweg aufgreifen, ansprechen und ausgewogen aufbereiten. Das für mich spannendste Kapitel war das letzte Buchkapitel, in dem wir versucht haben, nicht nur aus unserer Sicht einen Ausblick zu wagen, sondern gleichzeitig auch die Ergebnisse der Interviews einfließen zu lassen.


Viele Umfragen unter Beratungskunden geben den Consultants relativ gute Noten. Und der schlechte Eindruck basierte meist auf dem Bauchgefühl und Anekdoten.

– Prof. Andreas Krämer


Lassen Sie uns bei Ihrer Studie bleiben. Sie sprechen da von einem schlechten Image. War das nicht schon immer so? Warum sollte es die Branche jetzt stören?

Krämer: Naja, viele Umfragen unter Beratungskunden geben den Consultants relativ gute Noten. Und der schlechte Eindruck basierte meist auf dem Bauchgefühl und Anekdoten. Zwischenzeitlich liegen aber die Ergebnisse der ersten repräsentativen Umfrage zum Berufsprestige vor. Und da schneiden Consultants in der Gesamtbevölkerung am schlechtesten von allen untersuchten Berufen ab.

Thomas Deelmann

Deelmann: Ein schlechtes Prestige in der Gesellschaft mag sogar verschmerzbar sein, so lange die Branche überschaubar ist und nur ein paar Akteure eine positive Meinung haben müssen. So war die Situation in den letzten Jahren.

Wenn die Consulting-Branche aber weiter so stark wächst, dann müssen sehr viele Menschen in den nächsten Jahren rekrutiert werden. Und es müssen sehr viele Menschen überzeugt werden, Projekte zu beauftragen. Und die beiden Gruppen kommen aus der Mitte der Gesellschaft – und sie sollten ein positives Beratungsbild haben.

Giso Weyand, Dirk Lippold, Jonas Lünendonk, Volker Nissen…: Für Ihr Buch haben Sie namenhafte Branchenkenner aus Deutschland für Interviews gewinnen können. Inwieweit kam es in den Gesprächen zu wiederkehrenden Antwortmustern?

Krämer: Mit Wiederholungen langweilen wir die Leser hoffentlich nicht! Wir haben zwar allen Interviewpartnern – den Branchenbeobachtern, den Kunden und den Beratern – zum Abschluss eine Frage nach den Trends in der Branche gestellt und hier wurde relativ oft die Digitalisierung in der einen oder anderen Facette genannt.

Aber die einzelnen Interviews hatten immer einen ganz individuellen Schwerpunkt, mit dem immer ein anderer Aspekt aus einem anderen Kapitel beleuchtet wurde. Das bietet auch immer die Möglichkeit, sich das Buch punktuell vorzunehmen und sich über die Lektüre eines Interviews einen Einblick zu verschaffen oder vielleicht einen Impuls oder eine Anregung zu bekommen.

Es gibt bezogen auf die Interviews nur eine Gemeinsamkeit, die mir einfallen würde: Die große Offenheit und Expertise, mit denen uns alle geantwortet haben!


Wenn es mir um das Beraten geht, dann würde ich mir möglichst punktgenau eine Nische suchen und die bearbeiten.

– Prof. Thomas Deelmann


Nicht im Lehr-, Lern und Lesebuch behandelt wird das Thema Gründung eine Unternehmensberatung. Welchen Literaturtipp haben Sie an die Leser von Consulting-Life.de?

Deelmann: Exakt. Unser Szenario für die Buchgestaltung hat sich an einem typischen Karriereweg orientiert: Bewerbung, Einstieg, Projektleitung, Management einer Beratung – ergänzt um die Kundenrolle und weitere Facetten. Ein Start-up-Buch wollten wir nicht schreiben.

Da die Leser dieses Interviews Consulting-Life.de schon kennen, sind sie ja schon an der Quelle für gute Hinweise zum Aufbau der eigenen Beratung! Und die lassen sich wiederum prima kombinieren mit unseren Ausführungen zur Steuerung einer Beratung, beispielsweise zur Auslastung, zur Honorarform zum Tagessatz und Pricing.

Bleiben wir noch etwas beim Gründen: Angenommen Sie würden heute eine Consulting Boutique eröffnen – in welchem Feld würden Sie Kundenunternehmen warum beraten?

Deelmann: Die Antwort hängt ein wenig mit dem Gedanken von vorhin zusammen und ich muss mich entscheiden, was ich machen will? Wirklich beraten oder lediglich Consulting auf meiner Visitenkarte stehen haben und möglichst einfach irgendwo Auftraggeber finden?

Wenn es mir um das Beraten geht, dann würde ich mir möglichst punktgenau eine Nische suchen und die bearbeiten. In meinem Fall wäre das dann vielleicht die Beratung von Verwaltungen im Umgang mit Consultants. In einer Nische ist es möglich, sich einen Namen zu machen, für etwas zu stehen und von den Kunden erkannt und erinnert zu werden.

Krämer: Und wenn die Frage dahingeht, aus der eigenen Erfahrung heraus einen persönlichen Ratschlag für die Neugründung und Spezialisierung zu geben: Das Thema muss nicht nur neu sein und relevant (externe Sicht), es muss einem auch liegen, man muss das Thema mögen (interne Sicht). Nur dann kann man wirklich gut (und erfolgreich) sein.


Wir werden neu einordnen müssen, was eigentlich Beratung ist:
Das klassische Rat geben oder einfach das, was Berater so machen.

– Prof. Thomas Deelmann


Seit vielen Jahren beforschen Sie das Themenfeld Consulting. Wo sehen Sie die Branche in den nächsten 5-10 Jahren?

Deelmann: Der Blick fünf Jahre nach vorne ist ja nicht so wahnsinnig weit. Die Situation wird mit der heutigen gut vergleichbar sein. Allerdings wird sich die Branche deutlich vergrößern.

Und daraus resultiert dann der erste Punkt einer schleichenden Veränderung für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Wir werden neu einordnen müssen, was eigentlich Beratung ist: Das klassische Rat geben oder einfach das, was Berater so machen – auch Bodyleasing und andere Unterstützungsleistungen. Beides wird vertreten sein.

Und der zweite Punkt, der ebenfalls schleichend und vermutlich nicht als Disruption daherkommt: Die Digitalisierung und Automatisierung. Und damit meine ich nicht die Nutzung von Zoom, Teams oder WebEx. Eher die Übernahme von Kernaufgaben des People Business durch IT.

Nach dem Buch ist vor dem Buch: Worin besteht Ihr nächstes Autorenprojekt? Anders gefragt: Wo sehen Sie im Consulting noch weiße Flecken, die ein Buch unbedingt schließen sollte?

Krämer: Weiße Flecken gibt es natürlich immer. Einen haben Sie oben schon genannt. Aber für alles, was an Themen in einer zweiten Auflage neu hineinkommt, fliegt etwas anderes raus. Das Buch will ja nicht das Consulting-Wissen der Welt versammeln, sondern lesbar und nutzbar sein. Es soll komprimiert, es soll ein Arbeitsbuch sein. Ansonsten gibt es sicherlich immer in aus der Perspektive eines einzelnen Lesers bestimmte Lücken. Ich persönlich denke aber, dass wir die wesentlichen Elemente (in der Struktur, die wir uns gesetzt haben) ausreichend beschreiben haben. Wir haben uns wirklich lange Zeit genommen und Teile nach Diskussionen immer wieder neu geordnet und umgestellt, bis wir mit dem Aufbau beide zufrieden waren.

Für mich ist das Thema Consulting als Forschungsthema für die nächsten 12 bis 18 Monate erst einmal abgeschlossen. Ich wende mich meinem eigentlichen Thema Pricing und Customer Relationship Management zu. Mitte des Jahres konnte ich als Co-Herausgeber ein umfassendes Werk zur Preiskommunikation veröffentlichen. Für nächstes Jahr steht ein Buch zum Thema Kundenwert-Management an. In diesen Bereichen gibt es auch weiße Flecken und spannende neue Perspektiven.

Deelmann: Aber die Consulting-Pipeline ist trotzdem gefüllt! Bei mir beispielsweise mit der Herausgabe des Handbuchs der Unternehmensberatung. Das ist dann wirklich einer dieser ‚Türstopper‘ mit 2.200 Seiten in zwei Ordnern!

Und da ist die Berateraffäre und ihr Untersuchungsausschuss im Bundestag. Hier sind noch Lehren zu ziehen. Der politische Drops ist gelutscht, die Aufbereitung aus wirtschaftlicher Sicht aber noch nicht. Das liegt aktuell auf meinem Schreibtisch. 

Sie haben es geschafft. Herzlichen Dank für Ihre Zeit und das geteilte Wissen.
Eine gute Woche, Christopher Schulz

Das Gespräch führte Andreas Krämer, Thomas Deelmann und Christopher Schulz per E-Mail-Ping-Pong am 28. Oktober 2020.


Über den Interviewpartner Andreas Krämer
Prof. Dr. Andreas Krämer ist CEO der exeo Strategic Consulting AG aus Bonn und war 2013 bis 2020 Professor für Preis- und Kundenwertmanagement an der University of Europe for Applied Sciences in Iserlohn. Nach dem Studium der Agrarökonomie und anschließender Promotion arbeitete Krämer bei zwei führenden internationalen Beratungsunternehmen, bevor er 2000 sein eigenes Beratungsunternehmen gründete. Andreas Krämer ist Mitinitiator der Studien ‚Pricing Lab‘, ‚MobilitätsTRENDS‘ und ‚OpinionTRAIN‘ und Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Beiträgen sowie von 10 Büchern – unter anderem von Consulting – Ein Lehr,- Lern- und Lesebuch zur Unternehmensberatung* zusammen mit Thomas Deelmann.

Über den Interviewpartner Thomas Deelmann
Professor Dr. Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. Er kommentiert Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung, berät bei strategischen Fragen und ist unter anderem Herausgeber des Handbuchs der Unternehmensberatung. Zusammen mit Andreas Krämer ist er Autor von Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch zur Unternehmensberatung*.

Über das Buch Consulting
Das Lehr-, Lern- und Lesebuch zur Unternehmensberatung ist Anfang Oktober 2020 im Erich Schmidt Verlag erschienen und umfasst gut 300 Seiten geballtes Beratungswissen. Eine Rezension findest Du hier.

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