Verteidigungsministerium

In der Berateraffäre wurde das Verteidigungsministerium teilweise wie eine Milchkuh betrachtet – Prof. Thomas Deelmann im Interview

3.43 Milliarden. Das ist der Umsatz den Unternehmensberatungen mit Kunden aus dem deutschen öffentlichen Sektor im Jahr 2020 erzielt haben. Ein stattlicher Betrag. Doch wo viele Geschäft gemachten werden, da werden auch Fehler begangen. So die Berateraffäre im Verteidigungsministerium in den Jahren 2013-2019. Thomas Deelmann hat den Fall seinem neuesten Fachbuch aufgearbeitet. Worin lagen die Ursachen? Was sind die Erkenntnisse? Und welche Auswirkungen hat die Affäre auf die Zusammenarbeit zwischen Kunde und Berater? Im Interview stand der Professor Rede und Antwort.


Dr. Christopher Schulz (Consulting LIFE): Hallo Prof. Dr. Deelmann – Seit September 2020 liegt der Abschlussbericht des Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre im Verteidigungsministerium vor. Sie haben den Fall eingehend analysiert. Welche drei Erkenntnisse waren für Sie die wichtigsten?

Thomas Deelmann

Mit etwas zeitlichem Abstand und mit einem Blick aus 10.000 Meter Flughöhe fällt nochmal deutlich die Chuzpe einiger Unternehmensberater und Beratungen auf. Teilweise wurde das Verteidigungsministerium wie eine Milchkuh betrachtet, die man beliebig melken kann.

So konnten die Berater aber nur agieren, weil – und das ist eine zweite Auffälligkeit – der Kunde an vielen Stellen ungeschickt oder sogar unprofessionell gehandelt hat. Eigentlich muss man sogar sagen: Die Kunden! Den die Arbeitsketten für eine Beauftragung waren extrem langezogen, kompliziert und kleinteilig. Wenn da niemand die Übersicht behält, dann bietet das Stör- und Gefahrenpotenzial.

Und der dritte Punkt hat eigentlich nichts mit Consulting zu tun, aber dafür freut er mich als Bürger. Denn die Aufarbeitung der Berateraffäre im Verteidigungsministerium zeigt auch, dass die Gewaltenteilung ganz gut funktioniert. Es wird ja manchmal über „den Staat“ und „die Politiker“ geklagt. Aber hier hatte ich wirklich das Gefühl, dass unsere Abgeordneten unserer Regierung sehr genau auf die Finger schauen.


„Die Aufarbeitung der Berateraffäre zeigt auch, dass die Gewaltenteilung ganz gut funktioniert.“


In Ihrem neuen Fachbuch nehmen Sie auf 360 Seiten die Berateraffäre auseinander. Wie sind Sie beim Sezieren der 40 Sitzungen und 4.700 Ordner Beweismaterial vorgegangen? Immerhin läuft man jederzeit Gefahr sich im Klein-Klein der Fakten zu verlieren.

Die lange Dauer und der Umfang der Arbeit des Untersuchungsausschusses hat wohl viele überrascht.

Mir war aber schon recht schnell klar, welche Chancen in einem solchen Verfahren stecken.

Hilfreich war es dann, ein klares Ziel zu haben. Ich wollte Daten und Informationen aus Consulting-Perspektive sichten, bewerten und verarbeiten. Alles andere – zum Beispiel die politischen Themen wie den Wechsel von Frau von der Leyen zur EU-Kommission – muss man dann ausblenden beziehungsweise im Sinne der Sache nicht so hoch priorisieren.

Operativ gestaltete es sich dann in etwa so, dass ich in den knapp zwei Jahren Untersuchungsausschussarbeit die Informationen wie ein Schwamm aufgesogen habe. Das Sammeln, Bewerten und auch schon Vorsortieren standen im Mittelpunkt. Und daran schloss sich dann ein gutes halbes Jahr sehr intensive Schreibarbeit an, bevor dann Feintuning, Produktion und Druck anstanden.


„Manchmal dauert die Beschaffung eines Cent-Produktes, zum Beispiel der sprichwörtliche Bleistift, länger, als die Beratungsbeauftragung für 200.000 Euro.“


Hochdotierten Beraterverträgen, bei denen die Vergabekriterien partiell nicht eingehalten werden – inwiefern konnten Sie solche Ereignisse auch in der freien Wirtschaft beobachten bzw. in einschlägigen Quellen nachverfolgen?

Klar, das war schon eine besondere Situation. Aber auch in der Privatwirtschaft läuft nicht alles rund. Auch dort werden Einkaufsrichtlinien ‚gedehnt‘. Manchmal dauert die Beschaffung eines Cent-Produktes, zum Beispiel der sprichwörtliche Bleistift, länger als die Beratungsbeauftragung für 200.000 Euro. Das konnte ich auch selber ein paar Mal beobachten – und auch beheben. Und ja, es wird auch darüber gesprochen – natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Aber dokumentiert wird es selten und veröffentlicht eigentlich nie.

Und genau das macht ja das Interessante an der Berateraffäre und den Reiz der Aufbereitung aus: Der Staat ist hier viel transparenter als Unternehmen. Und das, also die Aufbereitung, findet sich dann gebündelt im Buch wieder.

Im Buch präsentieren sie viele interne Unterlagen wie Organigramme, Verträge und E-Mail-Korrespondenzen. Sind solche Unterlagen nicht eigentlich Verschlusssache? Wir sprechen doch hier vom Verteidigungsministerium.

Da haben Sie recht. Viele Unterlagen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Auch der Untersuchungsausschuss hat nicht immer öffentlich getagt. Da man muss etwas detektivisch vorgehen und puzzeln: Welche Bemerkung wird hier fallengelassen? Welches Stichwort taucht später wieder auf? Was schreibt, sagt oder tweetet die Presse – da haben die Journalisten, insbesondere die investigativen, ja ganz andere Mittel und Wege, um an Informationen heranzukommen.

Zusätzlich ist dann bei vielen Unterlagen die Geheimhaltung aufgehoben worden. Auch hier zeigt sich wieder: Der Staat ist recht transparent.

Unterstreichen sollte ich aber bei der Gelegenheit: Vertraulichkeiten habe ich natürlich keine ausgeplaudert, sondern es gibt für alles Belege und Nachweise. Alles ist nachvollziehbar und wer mag, kann auch selber einsteigen und die Belege und Quellen nachprüfen.

Verlassen wir kurz die vertraulichen Themen. Gab es auch unterhaltsame Aspekte?

Vor uns liegt ja ein Fachbuch und kein Sachbuch oder gar Enthüllungsbuch. Daher darf die Basis schon voller Inhalte sein. Aber klar, die Affäre hatte teilweise slapstickartige Züge und auch im Ausschuss ging es nicht immer bierernst zu. Zwischendurch gab es schon mal den einen oder anderen Schmunzler.

Mir fällt da ein vielleicht unfreiwillig getätigtes Bonmot ein. Ein Zeuge beschrieb seine Einstellung zur Consulting-Branche so: „Berater sind wie Fliegen, die kommen von ganz alleine.“

Oder als Skurrilität: Da sprechen Zeugen im Rahmen ihrer Aussagen vor dem Ausschuss über die PS-Stärke von Geschäftsfahrzeugen oder über die Reisekostenfähigkeit von nachts auf Autobahnraststätten gegessenen Würstchen. Das sind schon besondere Highlights.


„Ein Zeuge beschrieb seine Einstellung zur Consulting-Branche so: ‚Berater sind wie Fliegen, die kommen von ganz alleine.‘.“


Im letzten Buchdrittel widmen Sie sich auch der Berufsprestige von Beratern. Laut aktuellen Studien liegt das öffentliche Ansehen von Consultants hinter dem von Rechtsanwälten, Bankangestellten und Steuerberatern. Warum stört das in der Branche keinen?

Ich habe auch geschaut, ob sich in der Branche durch die Berateraffäre etwas ändert: Umsatzvolumina, Abläufe oder das Ansehen beziehungsweise Prestige. Und gerade dort ist noch viel Luft nach oben. Gleichzeitig zeigen Studien aber auch, dass die Wahrnehmung von Beratern besser ist, je näher man ihnen steht. Also: Im direkten Umfeld hui, in der Breite der Gesellschaft pfui.

Ihre Einschätzung ist aber sehr interessant und auf die Frage, warum das schlechte Prestige niemanden stört, habe ich derzeit auch keine Antwort. Aber man kann ja Vermutungen anstellen.

Zumindest teilweise will man die Situation wohl einfach nicht wahrhaben, weil es dem Eigenbild widerspricht. Das persönliche Ansehen im Freundes- und Bekanntenkreis ist typischerweise gut, die Arbeitgeberattraktivität ist hoch und die Nachfrage der Kunden steigt. Eigentlich ist also alles ok.

Aber hier darf man sich meiner Meinung nach nicht in Sicherheit wiegen: Die Consulting-Community ist nicht mehr so überschaubar, wie noch vor ein paar Jahren. Sie wächst stark und es werden jedes Jahr eine sehr große Zahl an Nachwuchsberaterinnen und -beratern eingestellt. Dabei verändern sich die Rekrutierungswege. Und ein schlechtes Prestige macht das Fischen in neuen Gewässern nicht unbedingt leichter.


„Die Wahrnehmung von Beratern ist besser, je näher man ihnen steht. Also: Im direkten Umfeld hui, in der Breite der Gesellschaft pfui.“


Letzte Frage: Richtung Zukunft gewandt – was wird sich bei der Zusammenarbeit zwischen Kunden und Consultants nach der Berateraffäre in Deutschland verändern?

Ich hoffe: sehr viel. Und ich befürchte: relativ wenig.

Die Möglichkeiten und Wege für Veränderungen sind ja klar benannt und liegen auf dem Tisch. Der Abschlussbericht benennt grobe Verbesserungsmöglichkeiten und ich habe aus der großen Zahl der Auffälligkeiten ganz konkrete Empfehlungen abgeleitet.

Kurzfristig sind auch Veränderungen sichtbar – im Verteidigungsministerium beispielsweise mit einer Art zentraler Koordinationsstelle. Und man sollte durchaus auch mit den Pfunden wuchern, die man schon hat: Beispielsweise der intelligente Einsatz von internen Beratungen, im Verteidigungsministerium ist das die BwConsulting.

Dann ist es aber auch wichtig, dass man nicht nachlässt. Eine hohe Nachfrage im gesamten Markt, ein Modernisierungsdruck bei den Kunden, neue Verantwortlichkeiten und veränderte Ziele: Das sind leider die besten Voraussetzungen, damit die bisherigen Erfolge bei der Kundenprofessionalisierung wieder in sich zusammenfallen.

Aber – und das soll explizit keine Entschuldigung oder Verteidigung sein – das geht anderen, privaten Organisationen genauso: Die Professionalisierung erfolgt oft in Wellenbewegungen! Sie erzielt immer dann Fortschritte, wenn es Skandale, Sparzwänge oder andere Stresssituation im Unternehmen oder in der Verwaltung gibt und ebbt später wieder ab. Das muss man wissen und dann kann man damit arbeiten!

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und die geteilten Erkenntnisse. Eine gute Woche, Dr. Christopher Schulz


Über den Interviewpartner Thomas Deelmann
Professor Dr. Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. Er kommentiert Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden.

Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung, berät bei strategischen Fragen und ist unter anderem Herausgeber des Handbuchs der Unternehmensberatung sowie Co-Autor von Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch zur Unternehmensberatung.

Über das Buch
Mit Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium: Ausgangssituation, Aufarbeitung und Auswirkungen* gibt Thomas Deelmann einen Einblick in ein dysfunktionales System und bietet konkrete Impulse an, um externe Expertise produktiv mit verantwortungsvollem Verwaltungshandeln zu verbinden. Eine Rezension findest Du hier.

Letzte Aktualisierung am 15.07.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API


Bessere Fragen im nächsten Gespräch?

Nutze die 70 Techniken für Fragen & Zuhören aus meinem Buch Question Power*!





Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert