Ahmet Emre Açar

Es gibt keinen Grund für einen Unternehmensberater physisch beim Kunden zu sein – Ahmet Emre Açar im Interview

Hast Du schon einmal einen Workshop per Videokonferenz geleitet? Wie gut bist Du für mobile Arbeit ausgerüstet? Kannst Du Projektteams auch virtuell führen? Derzeit sind Geistesleister wie Unternehmensberater auf das Home Office angewiesen. Da liegt es nahe sich mit einem Experten für Teleheimarbeit auszutauschen. Ich traf dazu Ahmet Emre Açar, Berater für Design Thinking und Remote Working sowie Gründer der Wisssensplattform Bleib im Haus!.


Dr. Christopher Schulz (Consulting LIFE): Starten wir das Interview mit einer Feststellung: Im deutschsprachigen Raum gibt es zum Thema Telearbeit, Home Office bzw. Remote Working überschaubare Literatur*. Woran liegt das?

Ahmet Emre Açar

Ahmet Emre Açar: Tatsächlich beginnt die Literatur bereits in den 1990er Jahren, doch die Themen und Ansichten um Teleheimarbeit scheinen sich seither nicht viel verändert zu haben. Ich vermute, dass hat mehrere Ursachen.

Zunächst sind es arbeitsrechtliche Gründe. Weder können es Arbeitgeber verlangen, noch können es Arbeitnehmer einfordern. Dadurch fehlt bei vielen die Erfahrung mit Home Office bzw. ist diese sehr bescheiden und von Problemen mit der Technik und den Abläufen gezeichnet.

Dazu gehört auch, dass bis heute die ländlichen Regionen schlecht an digitale Infrastrukturen angebunden sind.

Zuletzt spielt die Sprache auch eine Rolle. Die Arbeitssprache hier ist Deutsch, in virtuellen Organisationen aber oft Englisch, da internationale Firmen Talente aus der ganzen Welt beschäftigen.
Das alles führt dazu, dass das Wissen um Home Office eingeschränkt ist. Die Konsequenz ist überschaubare Literatur. Die meisten Menschen sehen ja die aktuellen Umstände nur als Ausnahme und erwarten danach ihre Rückkehr ins Büro.


In den USA gibt es Studien, die deutlich zeigen, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von Home Office hohen wirtschaftlichen Nutzen haben.


Kennst Du aktuelle Studien zum wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Nutzen von Home Office? Man denke nur an die Einsparung von Büro- & Parkplatzfläche, der Senkung des Co2-Ausstoßes sowie die Anhebung der Mitarbeiterzufriedenheit.

Leider nicht aus Deutschland. In den USA gibt es Studien, die deutlich zeigen, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von Home Office hohen wirtschaftlichen Nutzen haben. Auch die ökologischen Vorteile sind enorm. Der soziale Nutzen ist insbesondere für Menschen im ländlichen Raum und mit besonderen Lebenssituationen (Einzelerzieher, Pfleger etc.) vorhanden.

Was mir stark ins Auge sticht ist der Fakt, dass Studien im englischen Raum die Vorteile von Home Office hervorheben, während hierzulande oft von den Gefahren die Rede ist. Dabei sind mir persönlich in meinen 15 Jahren Teleheimarbeit kaum Nachteile vorgekommen.

Unternehmensberater sind viel unterwegs und damit wechselnde Arbeitsplätze gewöhnt. Im Gegensatz dazu sind Kundenmitarbeiter bei Telearbeit oft skeptisch. Mit welchen Argumenten, Studien oder Beispielen machst Du einem Home Office Neuling das Thema schmackhaft?

Ich versuche allen meiner Kunden von Video Calls, Chats usw. zu überzeugen. Es gibt keinen Grund für einen Unternehmensberater physisch beim Kunden zu sein, außer um ‚Präsenz zu zeigen‘. Auch wenn das bedeutet, dass man wie ich neulich fünf Stunden zu einem 1-stündigen Gespräch hin und dann fünf Stunden zurückfährt.

Mein Hauptargument ist, dass sie für meine Ergebnisse und nicht für meine Zeit bezahlen (auch wenn die meisten Verträge nach Zeit aufgeschlüsselt sind). Es sollte egal sein, wo ich diese erarbeite.

Ein zweites Argument: Welche meiner Tätigkeiten erfordert zwingend die Arbeit vor Ort? Keine. Ein letztes Argument ist wirtschaftlich: Wer mich virtuell bucht zahlt deutlich weniger, als wenn ich vor Ort sein muss.


Es gibt keinen Grund für einen Unternehmensberater physisch beim Kunden zu sein, außer um ‚Präsenz zu zeigen‘.


Angenommen ich bin ein wissensgetriebenes Unternehmen, das Home Office bisher nicht bei seinen Mitarbeitern umgesetzt hat. Welchen ersten sinnvollen Schritt empfiehlst Du?

Der erste Schritt ist sich das Thema einzulesen und sich bei der Belegschaft und außerhalb umzuhören. Es gibt hunderte virtuelle Unternehmen, einige davon sind extrem erfolgreich. Sie haben keine Büros, es gibt also nur die verteilte Arbeit. Ob im Home Office, im Cafe, Co-Working Raum oder persönlich angemietetes Büro – die Mitarbeiter entscheiden selbst.

Wenn Unternehmer verstanden haben, dass Teleheimarbeit bei ihnen möglich ist, können sie anschließend durchdenken, was dazu im eigenen Haus nötig wäre.

Der nächste Schritt zur Umsetzung besteht dann in der Schaffung der arbeitsrechtlichen Grundlagen, daher die Arbeitsverträge erweitern, damit Home Office offiziell möglich ist. Vorlagen dazu gibt es im Internet. Wenn Firmenlenker das gemacht haben, ist das bereits eine starke Selbstverpflichtung und ein deutliches Signal. Dann läßt sich auch schwer zurückrudern, ohne sich mit einem Arbeitsgericht auseinandersetzen zu müssen.

Auch wenn die Tele- & Videokonferenztechnik immer besser wird, bleibt das persönliche Gespräch weiterhin der breiteste Kommunikationskanal. Sind Dir Systematiken bekannt, welche Aufgaben, Themen und Formate sich für Teleheimarbeiten eignen und welche nicht?

Da reicht der gesunde Menschenverstand. Alle Tätigkeiten, die aus sich heraus eine physische Präsenz erfordern, eignen sich nicht. Als Handwerker wird Home Office schwierig. Es gibt jedoch Anteile in dem Beruf (wie etwa Abrechnungen, Angebotserstellung, Planung des Projekts, Meetings), die durchaus virtuell geführt werden können.

Das Problem ist eher, dass nicht nach Themen, Tätigkeiten und Formaten analysiert wird, sondern nach Funktionen. So haben beispielsweise in den meisten Betrieben Führungskräfte und Manager Laptops und Mobiltelefone, während etwa die Assistenten am Desktop arbeiten müssen. Dieses Verhalten ist in Zeiten, in denen man für 50 € ein Smartphone und für 250€ ein Laptop bekommen kann, in Frage zu stellen.


Die klare zeitliche Trennung und das Signalisieren der Arbeitstätigkeit ist wichtig. Dazu gehört auch die Tür zuzumachen und das Tragen von Arbeitskleidung.


Werden wir praktisch und wenden uns dem heimischen Arbeitsplatz zu. Welche drei Soforttipps für ein besseres Arbeiten zu Hause hast Du?

Erstens, das Verständnis bei sich und anderen schaffen, dass dies Arbeit ist. Dazu gehört die Trennung des Arbeitsplatzes vom privaten. Das geht selbst auf sehr eingeschränktem Raum gut. Die klare zeitliche Trennung und das Signalisieren der Arbeitstätigkeit ist wichtig. Dazu gehört auch die Tür zuzumachen und das Tragen von Arbeitskleidung. Schließlich aber auch ein entspannter Umgang mit Unterbrechungen von Außen, beispielsweises wenn kleine Kinder sich mal nicht an die Regeln halten und doch mal stören.

Zweitens, sich jeden morgen den Tag bewusst zu planen und in klare Zeitabschnitte einzuteilen. Das sollte Pausen und private Aktivitäten beinhalten. Es hilft, die Zeitblöcke eher kurz zu halten, um konzentriert zu arbeiten. Dieser Plan sollte im Kalender eingetragen werde und für die Mitarbeiter einsehbar sein. Die Pomodoro Technik und das Buch Deep Work von Cal Newport kann ich empfehlen. Ganz wichtig dabei: Die Pausen einplanen und nach einer bestimmten Anzahl von Stunden mit der Arbeit aufhören. Es gibt immer was zu tun und man könnte den ganzen Tag am Rechner sitzen. Beides ist nicht gut.

Drittens, ein gemeinsames Chat als schnelles Rückkanal für das eigene Team schaffen. Ob WhatsApp, Skype oder Slack… das Tool ist dabei egal. Alle kurzen Diskussionen, Anfragen, Antworten und ähnliche schnelllebigen Informationen sollten ins Chat rein. Ich nutze keine E-Mail im eigenen Team und kenne auch keine virtuelle Organisation, die das zur internen Kommunikation nutzt. Fürs Chat braucht das Unternehmen klare Regeln und Normen. So ist zum Beispiel klar, dass ein Mitarbeiter den eigenen Status im Tool bewusst setzt, sobald er oder sie eine Pause macht, nicht am Platz ist oder ungestört arbeiten möchte. Es ist auch klar, dass ein Kollege erst selbst kurz nach Informationen sucht oder nachdenkt, bevor dieser andere belästigt.


Unternehmen, welche sich nicht mit Home Office und Remote Work beschäftigen und die Möglichkeiten für diese Arbeitsform schaffen, werden sehr bald untergehen werden.


Aktuell weisen viele Unternehmen ihre Mitarbeiter an auf Home Office umzustellen. Die Wissensarbeiter rüsten sich mit notwendiger Technik aus und gewöhnen sich an die Arbeitsform. Wohin geht diese Teleheimarbeitsreise?

Ich denke, daß Unternehmen, welche sich nicht mit Home Office und Remote Work beschäftigen und die Möglichkeiten für diese Arbeitsform schaffen, sehr bald untergehen werden. Das läßt sich leicht nachvollziehen:

Menschen, die nicht zur Arbeit anreisen, sind glücklicher (siehe Studie). Eine glückliche Belegschaft leistet besser. Menschen, die sich selbst disziplinieren, organisieren und mit anderen koordinieren müssen, sind bessere Wissensarbeiter. Menschen, die eigenverantwortlich arbeiten, sind innovativer. Eine Belegschaft, die nicht ortsgebunden ist, ist vielfältiger, kann bei guter Nutzung der Zeitzonen rund um die Uhr arbeiten, ist durch den globalen Arbeitsmarkt günstiger. Das sind alles Wettbewerbsvorteile.

Technik, die virtuelles Arbeiten ermöglicht, ist zwangsläufig weiter fortgeschritten als eine rein ortsgebundene Infrastruktur. Sie ist auch zwangsläufig sicherer. Das muss sie sein, da ein Mitarbeiter ohne synchrone Bearbeitung von Dokumenten Zeit verliert und ohne Virtual Private Network (VPN) Verbindung oder Passwort Manager angreifbar ist. Die Folge: Ein Unternehmen, das voll auf Home Office ausgelegt ist, hat eine modernere und somit bessere IT.

Geschäftsmodelle werden durch Home Office lukrativer. Ich kann eine Weiterbildung offline halten und habe dabei neben Raum, Anreise, Catering auch Materialkosten vor Ort. Virtuell fallen all diese Kosten weg. Ein Teil der Ersparnisse kann ich durchreichen, doch die Marge steigt insgesamt. Ich kann Beratung auf Stundenbasis anbieten oder Teilergebnisse an virtuelle Arbeiter durchreichen. Beides geht beim Modell ‚Hintern auf Sitzen und vor Ort Gesicht zeigen‘ nicht. Ich kann auf Knopfdruck ein virtuelles Team aus Entwicklern und Designern aufbauen. Ein guter Entwickler in Berlin kostet um die 80 Euro die Stunde. Offshore (beispielsweise in den Philippinen) kostet dieser 40 Euro, zumal ich da eher Leute finde, die Kompetenz in virtuellen Teams haben.

Zusammenfassend: Menschen, Technik und Geschäftsmodelle in der Wissensarbeit werden durch eine rein virtuelle Struktur zwangsläufig verbessert, von den Kostenersparnissen durch fehlendes Büro ganz abgesehen. Wer da zuerst an Nachteile denkt und Argumente wie Vereinsamung oder ähnliches aufführt, hat noch nicht verstanden, was die eigenen Kinder bei Fortnite & Co. bereits spielerisch vorleben.

Du hast es geschafft. Besten Dank für Deine eingebrachte Zeit und das geteilte Wissen.
Eine gute restliche Woche, Christopher.

Das Interview mit Ahmet Emre Açar führte Christopher Schulz per E-Mail am 18.03.2020.


Über den Interviewpartner Ahmet Emre Açar
Als Experte für Design Thinking und digitales Arbeiten übernimmt Ahmet die Konzeption und Produktentwicklung für Unternehmen. Zu seinen Kunden zählen Firmen wie McKinsey, Google und SAP. Aktuell erstellt er mit Bekannten und Kollegen die kostenfreie Webseite Bleib im Haus! zum Thema Home Office und verteiltes Arbeiten. Seine eigenen Gedanken teilt er auf seiner Webseite mit. Ende 2020 erscheint sein Buch zur praktischen Umsetzung von Design Thinking für den Mittelstand im Murmann Verlag.


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