Einem großen Teil der Branche ist die Verschwiegenheit und Intransparenz ganz Recht – Prof. Thomas Deelmann im Interview
Deutschland ist eine Berater-Republik – sagt Thomas Deelmann, Professor für Management und Organisation an der HSPV NRW in Köln. Ist das gut oder schlecht – für die Wirtschaft, öffentliche Organisationen und die Consulting Branche selbst? Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da? Und worin besteht eines der größten Fehler bei der Zusammenarbeit zwischen Kunden und Berater? Im Interview gibt der Forscher Antworten und wagt einen Blick auf Zukunft einer der verschwiegensten Industrien des Landes.
Dr. Christopher Schulz (Consulting LIFE): Hallo Professor Deelmann. Der Titel Ihres aktuellen Buches lautet Die Berater-Republik: Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen*. In wenigen Sätzen zusammengefasst. Was verstehen Sie unter einer Berater-Republik?
Der Titel drückt aus, dass es mehr und mehr Consultants gibt und diese immer tiefer in alle Branchen und Bereiche eindringen – privatwirtschaftlich wie öffentlich. Dabei verdamme ich den Rückgriff auf Berater aber nicht grundsätzlich. Er muss aber professionell erfolgen, ansonsten entgleitet die Kontrolle. Die Branche muss auch Nicht-Experten verständlich gemacht werden. Sie müssen ebenfalls in der Lage sind, die Consultants wieder einhegen zu können. An dieser Stelle setzt das Buch an.
Einem großen Teil der Branche ist die Verschwiegenheit und Intransparenz ganz Recht. Das gilt übrigens für Anbieter und Nachfrager gleichermaßen.
Thomas Deelmann
Im Sachbuch sprechen Sie mehrmals über die Verschwiegenheit und Intransparenz der Consulting Industrie. Hat keiner Interesse endlich Licht ins Dunkle zu bringen, wie das beispielsweise Internet-Vergleichsplattformen für andere Branchen getan haben?
Offenbar nicht. Oder zumindest nicht im großen Stil. Consultants selber sind natürlich oft gut im Bilde. Auch einige Kunden haben für sich intern sehr viel Licht ins Consulting-Dunkel gebracht. Und es gibt Wettbewerbe, Awards, Preise et cetera, die vergleichen und hervorheben wollen – aber auch da muss man genau hinsehen, was und wie konkret gemessen, ausgezeichnet und prämiert wird. Einem großen Teil der Branche ist die Verschwiegenheit und Intransparenz ganz Recht. Das gilt übrigens für Anbieter und Nachfrager gleichermaßen.
Im Rückblick: Was war die spannendste Erkenntnisse bei der Recherche für Die Berater-Republik?
Einen Aha-Moment gab es beim Blick auf die Zahlen und beim Zusammenstellen von Vergleichen! Klar, die Zahlen kennt man: 44 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, 170 Tausend Consultants und so weiter. Aber wenn man sich überlegt, dass für den öffentlichen Sektor Tag für Tag so viele Berater im Einsatz sind, wie Husum, Xanten oder Starnberg Einwohner haben, dann wird doch alles nochmal zurechtgerückt und die Berater-Republik wird lebendiger und greifbar.
Für den öffentlichen Sektor sind Tag für Tag so viele Berater im Einsatz, wie Husum, Xanten oder Starnberg Einwohner haben.
Thomas Deelmann
Etwa 10 Prozent der jährlich rund 44 Milliarden Euro Beratungsumsatz entfallen auf den Staat. Wo rangiert Deutschland hier gegenüber europäischen bzw. angelsächsischen Nationen?
In absoluten Zahlen recht weit vorne – alleine auf Grund der Größe der Volkswirtschaft. Dann sind immer wieder Einschätzungen der Art zu finden, dass der Anteil des Public-Sector-Consultings in Deutschland deutlich hinter dem in anderen Ländern liegt, zum Beispiel Dänemark und UK.
Aber hier muss man aufpassen, dass man nicht die sprichwörtlichen Äpfel mit Birnen vergleicht: Andere Länder haben eine größere Affinität zum Outsourcing und zur Unterauftragsvergabe. Deutschland hat hingegen sehr viele Beschäftigte im „öffentlichen Sektor im weiteren Sinne“ und ist hier sehr auskömmlich aufgestellt – und hat dementsprechend wohl auch weniger Bedarf, externe Dienstleister für Beratungsservices einzukaufen. Und wir können uns nicht sicher sein, dass international überall eine einheitlich Definition von Consulting verwendet wird.
Aber ganz ehrlich: Das sind ja nur Zahlen, die mal mehr und mal weniger als Aufreger dienen. Wichtiger erscheint doch die Frage: Was bekommt man denn fürs Geld, was kommt raus? Welche Ergebnisse gibt es und wie wird evaluiert? Was lernen wir daraus, was wird besser? Und hier sind ganz viele Kunden – in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Sektor – einfach blank. Das ist in meinen Augen ein wirklich kritischer Punkt.
An diversen Stellen übernimmt die IT schon seit jeher Randaufgaben der Beratungstätigkeit. Das wird sich sicherlich ebenfalls mehr oder minder dynamisch fortsetzen.
Thomas Deelmann
Blicken wir für die letzte Frage nach vorne: Wo steht die Berater-Republik im Jahr 2033?
Das ist eine spannende Frage! Und eine schwierige: Bei der Beantwortung liegt man ja nie ganz richtig. Aber einen Versuch ist es wert: Ich gehe davon aus, dass die Branche in zehn Jahren einerseits große Ähnlichkeiten mit der Situation heute hat. Es gibt nämlich an vielen Stellen eine großes Stabilität.
Andererseits aber schlägt der demografische Wandel auch im Consulting zu. Das bedeutet, dass die Juniors, die heute einen Großteil der Mitarbeiterschaft ausmachen und extrem wichtig für die Up-or-Out-Geschäftsmodelle der Beratungskonzerne und vieler mittelgroßer Unternehmen sind, nicht mehr so leicht rekrutiert werden können.
Und an diversen Stellen übernimmt die IT schon seit jeher Randaufgaben der Beratungstätigkeit. Das wird sich sicherlich ebenfalls mehr oder minder dynamisch fortsetzen. Und schließlich hoffe ich ganz stark, dass die Kunden in der Zukunft professioneller mit ihren Dienstleistern umgehen.
In Summe wird es dann eine Berater-Republik sein, die strukturell noch große Ähnlichkeiten mit der aktuellen hat – dann aber bei näherem Hinsehen durchaus operative Unterschiede aufweist.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und das geteilte Wissen. Eine gute Woche, Christopher Schulz
Das Gespräch führten Prof. Thomas Deelmann und Dr. Christopher Schulz per E-Mail am 21.04.2023
Über den Interviewpartner Thomas Deelmann
Thomas Deelmann ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW in Köln. Er arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen ist sein jüngstes Buch und im April 2023 im FinanzBuch Verlag erschienen.
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